Verzeihen, verbinden

Verzeihen, verbinden, verstehen: Wie man Brücken baut

Diese Anregungen sind entstanden, weil es derzeit in meiner Praxis viele Menschen gibt, die an dem Thema knabbern. Und nicht nur in der Praxis, auch im persönlichen Umfeld stellen die Themen verzeihen, verbinden, verstehen Herausforderungen dar. Denn die andere Seite, die andere Sicht scheint uns oft so fremd, dass wir nicht glauben, sie verstehen zu können. Ablehnung, ja der Wunsch sie zu verbieten, entsteht. Doch wenn wir wie neugierige Touristen respektvoll ein Land erkunden, das so anders ist von unserem, was würde dann passieren? Und wie geht das? Und gibt es Länder, in die man nicht zu reisen braucht?

Er hat mir Leid angetan

Er, sie – sie waren es, die das getan haben. Sie haben sich nie entschuldigt. Sie haben nie um Verzeihung gebeten. Sie, sie… Empörung, Explosion, entgeistertes Entsetzen. Wenn ich in der Praxis mit Kindern arbeite, versuche ich ihnen durch solche Situationen zu helfen, in dem ich sie 2 Dinge lehre: wo ihre Wahrheit liegt (und somit ihre Grenze) und wo die Grenze des anderen liegt (Verständnis). 

Das Schöne an Kindern ist, dass sie sehr schnell begreifen. Schwieriger ist das mit Erwachsenen – mich eingeschlossen. Wir haben mehr Erfahrung, wir wissen, was falsch ist. Und wir wissen, was sich gehört. Man macht das so oder so, wenn man sich entschuldigt. Der andere muss doch einsehen, dass… 

Im NLP (Neurolinguistischen Programmieren) gibt es etwas, das heißt Drama-Dreieck. Es ist ein Erklärungsmodell für Dramen, die Dynamik in Familien oder Gruppen. Man sagt, dass Dramen drei Akteure brauchen: den Bösen, das Opfer und den Retter. Wie bei Aschenputtel: Aschenputtel, das kluge, gute, nette Mädchen. Die Stiefschwestern und das Schwiegermonster, das personifizierte Böse. Und dann den Prinzen – oder die gute Fee, die Aschenputtel errettet. 

Sehr oft wird das Opfer selber zu Täter – und Unversöhnlichkeit ist ein Zeichen dafür, dass wir im Dreieck der dramatischen Gefühle gefangen sind. 

Die gute Fee

Ja, es gibt sie wirklich. Und wenn sie einen besuchen kommt, wäre es klug, Tee und Gebäck für sie bereit zu stellen. Doch sie hilft bei Dramen nur ungern, weil der Mensch, so sagt sie, dann so wenig lernt. Und es ist ohnedies so schwer, den Menschlingen etwas beizubringen. Sie lacht laut und geht. Doch nicht, bevor sie ihren Zauberstab schwingt und etwas zurück lässt. 

Das Kleid, die Schuhe – all das ist ein Symbol dafür, das Aschenputtel selbst befähigt ist, sich aus einer unangenehmen Situation zu befreien. Eine Hilfestellung, sagt sie. 

Im Streit, bei Missbrauch, bei Scheidung – immer dann, wenn wir Opfer werden, ist es verständlich, dass erstmal unser Weltbild zerbröselt. Und mit ihm Stärke, Akzeptanz und vieles mehr. 

Doch in uns sind auch die Gaben angelegt, die uns helfen mit der Situation fertig zu werden. Und wenn wir uns erst auf die Suche machen, dann tauchen Lösungen auf. 

Verbinden, verstehen und Grenzen setzen

Wir sind alle miteinander verbunden.  Und so, wie man in den Wald hineinruft, so ruft er zurück. Wenn man den Täter hasst, dann wird die Welt hässlich. Wenn man die Anderen ablehnt, wird man selber abgelehnt. 

In der aktuellen Situation (zweiter Covid-Lockdown, Anschläge, Terror) ist es leicht, sich von dem Drang mitreißen zu lassen, was zu tun, sich zu empören.

Wie kannst Du nur, so etwas schreiben, so gleichgültig sein? Wieder die Empörung, die sich in Menschen mit dem Drang die Welt zu verbessern, breit macht. Man muss doch aufzeigen! Man darf nicht vergessen! Was treibt Menschen dazu so zu handeln? All diese Aussagen spiegeln Empörung, Urteil, Verurteilung.

Ich bin selber ein Weltverbesserer und tappe immer wieder in die Falle der Empörung. Dann muss ich etwas tun, das ich so gar nicht mag: mich hinsetzen und in Ruhe analysieren. Aber ich bin zur Überzeugung gelangt, dass man die Umstände, oder die Entscheidungen und Einstellungen anderer Menschen akzeptieren und trotzdem seinen Weg gehen kann. 

Eines der universellen Grundgesetze ist: es gibt keine böse Absicht. Und eine sehr schwer zu akzeptierende Realität ist, dass es keinen Sinn macht, das System zu bekämpfen. Wenige sind auserwählt gegen Mordor zu ziehen. Doch viele können etwas bewegen, wenn sie ihre Energie auf Alternativen ausrichten. Auf Möglichkeiten. Auf das Helle, Schöne, Freundliche. Ja, man ärgert sich trotzdem manchmal. Ja, auch Hass und Neid haben ihren Platz. Aber sie dürfen nicht zu Dauergästen werden.   

Dazu sind Grenzen notwendig. Muss man Mobbing, Diffamierung, oder Intrigen akzeptieren? Nein, ganz im Gegenteil. So kann es auch sein, dass man sich von Eltern, engen Freunden oder Partnern trennt. Wenn man erkennt, dass es keinen Weg mit ihnen gibt, der einen auch leben lässt, dann ist es weiser sich zu trennen. Denn ja, es gibt Menschen, die es nicht besser können. Doch das sagt nichts über Sie aus, nur alles über diesen Menschen.  

Wir können nicht entscheiden, wen wir lieben. Aber wir können entscheiden, was wir akzeptieren. – Verena Radlingmayr

Verzeihen

Das Gegenteil von Liebe ist nicht Haß. Haß ist eine Emotion, die vielschichtig ist. Kinder zum Beispiel beginnen zu hassen, wenn sie sich ohnmächtig fühlen. Oder wenn gerne so wären, wie der andere. Solange man hasst, verurteil, sich empört, neidet, verdrängt, ist die Wunde nicht heil, sondern schwelt giftgrün in uns weiter. Unversöhnlichkeit verhindert vieles. Verzeihen ermöglicht fast alles. Vor allem erlaubt es uns, aus dem ewigen Kampf gegen das Böse der Vergangenheit, aus dem Drama-Dreieck auszusteigen.Verzeihen ist ein Geschenk an sich selbst. Es hilft, alle Fäden zu Vergangenheit zu lösen und endlich frei zu sein, den eigenen Weg voll zu genießen. Man ändert sich selbst. Und die Welt ändert isch um einen herum. Aber Achtung: erwarten Sie nicht, dass der andere sich ändert. Manchmal passiert das, doch jeder lernt in seiner eigenen Zeit. Beim Verzeihen geht es darum Frieden zu machen. Mit sich, den Umständen, der Situation und der Person. Ob ein gemeinsames Miteinander dann noch möglich ist, ist offen. Aber Sie werden entspannt und neugierig auf Ihr Leben, das Jetzt und die Zukunft blicken. Und das ist das Geschenk des Verzeihens.

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner